...über Psychotherapie und Sonstiges

Willkommen auf meinem Blog. Hier werde ich immer wieder verschiedene Texte zu verschiedenen Themen im Bereich der Psychotherapie und angrenzenden Bereichen einstellen. Ich freue mich immer über Rückmeldungen und Hinweise zu meinen Texten und würde gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen.

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Donnerstag, 1. Dezember 2011

Der Rosenmann


Vor ein paar Jahren waren meine Frau und ich für eine Woche in Rom, um Urlaub zu machen und uns die Stadt anzusehen. Wir lernten dort, die von uns so getauften „Rosenmänner“ kennen. Sie verkauften nicht nur Rosen, sondern auch Sonnenschirme, Tücher, Sonnenbrillen und verschiedene andere Souvenirs. Gerade die Rosenmänner hatten aber einen besonderen Trick, um ihre Ware an den Mann (für die Frau) zu bringen. Sie kamen auf dich zu und drückten dir eine Rose in die Hand mit den Worten,sie sei ein Geschenk für die hübsche Frau. Der Mann nahm die Rose an und wollte schon weiter gehen, da verlangte der Rosenmann dann Geld (ich glaube es waren fünf Euro) für die Rose. Sie sei zwar ein Geschenk für die Frau, der Mann müsse diese jedoch selbstverständlich bezahlen. Versuche, die Rose wieder zurückzugeben, waren sehr schwer und scheiterten häufig am Willen und der Überzeugungskraft der Männer. Die Rosenmänner machten sodann auch gleich ein zweites Angebot. Für nur wenige Euro mehr könne man doch nun gleich eine weitere Rose erstehen. Auch war es für den Betroffenen schwer in Gegenwart seiner Frau die Rose nicht annehmen zu wollen. Es könnte eine Aussage über die Beziehung zur Frau sein. Die einzige Möglichkeit mit diesen Rosenmännern umzugehen war es, sie einfach zu akzeptieren, dass sie da waren, aber immer Abstand zu halten und sich nicht von ihnen einfangen zu lassen. Man konnte ihnen nicht aus dem Weg gehen, hieße das doch, viele bekannte Plätze in Rom nicht sehen und besuchen zu können, da diese Rosenmänner sich selbstverständlich an den bekannten und berühmten Plätzen mit den vielen Touristen aufhielten.
Unsere Gedanken als ungewollte Rosen
Vergleichen können wir diese Rosenmänner nun mit unseren Gedanken, gerade den unangenehmen. Diese halten sich auch gerne an den beliebten und bekannten Plätzen wie Geldsorgen, Gesundheit, Beliebtheit und Familie auf. Dort lauern unsere „Rosenverkäufer-Gedanken“ und versuchen uns diese unangenehmen Gedanken zu verkaufen. Sie kommen einfach auf uns zu und drücken uns einen Gedanken, den wir eigentlich gar nicht haben wollen, in die Hand und verwickeln uns in Verhandlungen. Was nun jeder mit dem realen Rosenverkäufer machen würde, ist einfach weitergehen und sich nicht auf die Verhandlungen einlassen. Ab und an schaffen wir das nicht ganz und kaufen doch eine Rose, manchmal ist diese Rose sogar ganz hilfreich und wir nehmen diese mit Absicht an. Es passt dann einfach in die Situation und wir sind bereit, den Preis dafür zu bezahlen. Häufig aber wollen wir diese Rosen nicht. Wir wissen, dass sie überteuert sind und auch nur maximal bis zum nächsten Tag, wenn überhaupt, frisch aussehen. 
Genau so geht es uns mit unseren „Rosen-Gedanken“. Sie werden uns in die Hand gedrückt und manchmal nehmen wir sie auch dankbar an. Sie sind dann in dem Moment wichtig für uns. Der Kontext passt. Wir sind bereit uns mit den unangenehmen Gedanken auseinander zu setzen und sie sind in diesem Moment dann auch hilfreich für uns. 
Diskutieren und Verhandeln bringt nichts
Häufig aber werden uns diese unangenehmen Gedanken in die Hand gedrückt, ohne dass wir diese haben wollen oder dass wir sie in dem Moment als hilfreich empfinden. Den Fehler den wir dann aber häufig machen ist, dass wir nicht wie beim realen Rosenverkäufer einfach weitergehen und diesen ignorieren, oder vielleicht eine Rose dann kaufen, unseren „Verlust“ realisieren und es bei einer belassen. Wir machen etwas anderes mit unserem innerem „Gedanken-Rosen-Verkäufer“: Wir fangen an mit ihm zu verhandeln und zu diskutieren. Wir verhandeln über den „Preis“ (…das wird doch alles nicht so schlimm…), wir verhandeln über die „Anwesenheit“ (…wie kann ich es schaffen, dass Du mich in Ruhe lässt…, ich versuch nicht an Dich zu denken…), wir verhandeln über die „Menge“ (…das mache ich noch und dann lässt Du mich aber in Ruhe…). Leider ist dieses Verhandeln für unseren „Gedanken-Rosen-Verkäufer“ immer wieder ein „Erfolg“. Es ist ein Zeichen, dass ich bereit bin, mich mit ihm zu beschäftigen und dieses nutzt er. Er kommt immer wieder. Mitunter lässt er sich für kurze Zeit vertreiben, um dann mit einem neuen Angebot wieder zu kommen. Je mehr wir uns mit ihm beschäftigen, desto häufiger kommt er wieder. Je mehr Taktiken und Strategien wir uns ausdenken, den „Gedanken-Rosen-Verkäufer“ loszuwerden, desto häufiger wird er wiederkommen. Wir versuchen immer Neues. Wir machen, was er will, weil wir denken, er lasse uns dann irgendwann in Ruhe. Wir versuchen zu kämpfen und versuchen die Gedanken zu verdrängen. Oder wir resignieren und nehmen dem „Gedanken-Rosen-Verkäufer“ dann alles ab, was er uns anschleppt. Wir glauben, wir müssen den „Gedanken-Rosen-Verkäufer“ aus unserem Leben löschen. Genauso wie einige glauben, sie könnten nur dann ein schönes Bild vom der Spanischen Treppe in Rom machen, wenn alle Rosenmänner aus dem Bild sind. Aber das wird nicht funktionieren. Wir können nicht alle Rosenmänner aus dem Bild bekommen. Wir können nur akzeptieren, dass sie da sind und wir sollten uns nicht auf eine Verhandlung mit ihnen einlassen, wenn wir nicht der Meinung sind, dass es gerade zu unseren Zielen und Werten passt, eine Rose zu kaufen. 
Ist der Gedanke („die Rose“) gerade hilfreich?
Die Frage, die wir uns immer wieder stellen sollten ist, ob es gerade jetzt für unser Leben hilfreich ist, eine Rose zu kaufen oder einen Gedanken anzunehmen und ihn zu verfolgen. Wenn die Rose gerade zu unseren Zielen passt (wir wollen z.B. romantisch sein und unsere Frau mit einer Rose in der Hand auf der Spanischen Treppe fotografieren), dann passt der Kontakt mit dem Rosenmann auch zu unseren Zielen. Wenn wir gerade einen immer größer werdenden dunklen Fleck auf unserer Haut entdeckt haben, dann passt der Kontakt mit dem Gedanken an Hautkrebs und die Beschäftigung mit konkreten Maßnahmen, wie Arztbesuche, in unser Leben, auch wenn diese Gedanken unangenehm sind. Eine „Nicht-Beschäftigung“ würde zu größeren Problemen führen als der Kontakt. Wenn wir uns jedoch, ohne konkreten Anhalt für derartige Probleme, immer wieder mit den „Gedanken-Rosen“ wie Hautkrebs, Gehirntumor, finanzieller Ruin, Katastrophenabwendung, Prüfungsversagen, Angst vor peinlichen Ereignissen in der Öffentlichkeit und so weiter und immer wieder mit der Vermeidung dieser Probleme im Voraus beschäftigen, dann öffnen wir den „Gedanken-Rosen-Verkäufern“ Tür und Tor. Dann fangen wir an, mit ihnen zu diskutieren und zu verhandeln. Dann können wir uns aber nicht mehr den schönen Platz anschauen oder die Aussicht genießen. Wenn wir in den Verhandlungen mit dem Rosenverkäufer feststecken, dann nehmen wir nicht mehr an unserem Leben teil. Dann verpassen wir sehr viel und dass macht uns nur noch mehr Angst oder unzufriedener, was den „Gedanken-Rosen-Verkäufer“ dazu veranlasst, immer wieder zu kommen, da er ein „Opfer“ gefunden hat. 
Was können wir tun?
Was ist aber nun das Ziel? Wir müssen lernen, Abstand zu unserem inneren „Gedanken-Rosen-Verkäufer“ zu finden. Wir müssen lernen, zu akzeptieren, dass er immer wieder im Bild ist und dass wir ihn nicht aus unserem „Lebens-Bild“ entfernen können. Wir müssen lernen, ihn einfach stehen zu lassen, wenn wir ihn nicht brauchen. Wir dürfen nicht versuchen ihn zu entfernen, denn dann verwickeln wir uns in einen Kampf, welcher uns von unserem eigenen Leben abhält. Wenn wir aber Akzeptanz ihm gegenüber lernen, dann gewinnen wir die Freiheit mit ihm zu leben. Auch mit seinen Versuchen, Aufmerksamkeit zu bekommen. Und wir müssen lernen zu erkennen, wann wir ihm besser doch zuhören, weil seine „Gedanken-Rosen“ gerade hilfreich sind und das Ignorieren zu einem größeren Schaden führen würde als die Beschäftigung mit ihm. Das sind die Strategien unseres Lebens: Der Rosenverkäufer ist hilfreich, wenn er uns unseren Zielen näher bringt. Ansonsten ist ein Ignorieren ratsam, weil uns das innere Diskutieren sonst vom eigentlichen Leben abhält.

Freitag, 25. November 2011

Warum es so schwer ist glücklich zu sein

„Lass Dich nicht abmurcksen!“ (Steinzeitmensch, anno…?)

Unser Geist hat sich über viele tausend Jahre der Evolution entwickelt. Er besitzt die erstaunlichen Fähigkeiten zu kommunizieren, zu kreieren und zu analysieren. Er hat sich jedoch nicht entwickelt, damit wir uns „gut“ fühlen, sondern damit wir „überleben“. Der Geist hat sich nicht entwickelt, damit wir Gedichte schreiben oder Witze erzählen oder „Ich liebe Dich“ sagen können. In der Zeit als Jäger und Sammler bestand die Welt aus lauter Gefahren  und wir mussten unsere grundlegendsten Bedürfnisse befriedigen um überleben zu können (essen, trinken, schlafen, Sex). Diese Bedürfnisse waren aber auch nur grundlegend, wenn der Mensch überlebte und so entstand die Maxime „Lass Dich nicht abmurksen“. Unsere Vorfahren wurden immer besser darin, Gefahren vorherzusehen und diesen aus dem Weg zu gehen. Nur die Menschen, welche diese Fähigkeit hatten, konnten sich auch fortpflanzen und somit wurde diese Eigenschaft immer weiter verfeinert, ausgebaut und weitergegeben. 

Wir sind gedanklich ständig unterwegs und auf der Hut

Der menschliche Geist arbeitet auch heute nach Hunderttausenden von Jahren immer noch nach diesem Schema. Wir sind ständig auf der Hut und schätzen und beurteilen alles, was uns begegnet. Wir kategorisieren in gut und schlecht, gefährlich und ungefährlich, schädlich oder nützlich. Doch die Gefahren sind andere geworden und auch weit komplexer. Somit müssen wir immer mehr Zeit damit verbringen zu beurteilen und zu analysieren. Es bestehen Gefahren wie Arbeitsplatzverlust, Ablehnung von Freunden oder Verwandten, Blamage in der Öffentlichkeit, Krankheiten verschiedenster Art, Unfallgefahren, finanzieller Ruin und vieles mehr. Gerade der soziale Bereich macht uns zu schaffen. Schon in der Frühzeit war der Verstoß aus der „Herde“ oder dem „Clan“ schnell ein Todesurteil. Auch heute tun wir das noch und es klingt uns sehr vertraut, wenn wir darüber nachdenken, dass auch unser moderner Geist das noch andauernd tut. Wir analysieren auch heute noch ständig: „Passe ich da rein?“, „Tue ich das Richtige?“, „ Trage ich genügend bei?“, „Bin ich so gut wie die anderen?“ Wir versuchen alles zu vermeiden, was uns Ablehnung einhandeln könnte. Wir suchen immer nach Möglichkeiten uns zu verbessern und in die Gesellschaft zu passen. Dafür wenden wir unheimlich viel Energie auf. Und wenn wir einer Sache nicht gerecht werden, dann machen wir uns Vorwürfe. In diesem Zusammenhang können wir mit der Kritik gegen uns selbst sehr hart werden, sehr viel härter als so manch anderer uns beurteilen würde. 

Wir sind schlimmer als Dieter Bohlen und Heidi Klum zusammen

Verschärfend kommt noch hinzu, dass die Vergleiche viele Tausend Jahre lang immer nur im eigenen Clan stattfanden. Nur die unmittelbare Umgebung zeigte uns, wie wir uns verhalten sollten. Heute haben wir die Möglichkeit quasi sofort mit der ganzen Welt in Kontakt treten zu können. Das führt dazu, dass diese Vergleiche immer weiträumiger und immer komplexer werden. Erschwerend kommt noch hinzu, dass diese Vergleiche von vielen Menschen auch noch genutzt werden um gut davon zu leben. Die Wirtschaft nutzt den sozialen Vergleich geschickt in ihrer Werbung um uns zu zeigen, wie wir sein sollten und was wir dafür tun können um nicht aus dem Clan verstoßen zu werden. Gerade in der Werbung wird immer wieder unterschwellig Angst erzeugt, damit wir uns darum kümmern, mit Hilfe der angebotenen Produkte, auch weiterhin „zum Clan“ zu gehören. 
Unser Geist hat es inzwischen geschafft, ein Idealbild von uns selber zu entwerfen, mit dem wir uns immer wieder vergleichen. Diese „Jury“ ist in diesem Fall härter als Dieter Bohlen und Heidi Klum zusammen. Wir können fast gar nicht gegen unsere innere Jury bestehen. 
Für jeden Steinzeitmenschen galt der Ehrgeiz immer besser zu werden. Wer die besseren Waffen hatte, konnte besser jagen. Wer besser jagen konnte, hatte mehr zu essen und mehr Vorräte. Wer mehr Vorräte hatte, konnte länger leben und sich somit besser fortpflanzen. Auch heute noch streben wir nach dem immer „besser und mehr“. Im Laufe der Evolution wurde unser Gehirn also so vernetzt, dass wir darauf angelegt sind psychisch zu leiden. Wenn der Mensch zufrieden gewesen wäre, würden wir heute noch in Höhlen wohnen. Da wir das mit unserer jetzigen Situation aber nie wirklich sind, streben wir immer nach Verbesserung, was uns viele Entwicklungen, Verbesserungen und Erleichterungen in unserem Leben eingebracht hat. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass wir ständig vergleichen, einschätzen kritisieren und uns darauf fokussieren, woran es uns mangelt und womit wir unzufrieden sind. Wir haben gelernt uns die schrecklichsten Szenarios auszumalen, von denen die meisten niemals eintreten werden. Deshalb fällt es dem Menschen so schwer glücklich zu sein.


(Anmerkung: Ein Großteil dieses Textes stammt aus dem Buch "Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei" von Russ Harris, einem Mitbegründer der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT))

Mittwoch, 5. Oktober 2011

Die Entstehung psychischen Leids

"The single most remarkable fact about human existence is how hard it is for humans to be happy.“ (S. Hayes)
Anwesenheit von Leid
Als Menschen können wir nicht in dieser Welt leben, ohne jeden Tag immer wieder von Leid berührt zu werden. Wir sehen es im Fernsehen, erleben es in unserem sozialen Umfeld und an der eigenen Person. Wir werden immer wieder mit schmerzhaften Erlebnissen konfrontiert. Alle Lebewesen auf diesem Planenten erleben schmerzhafte Ereignisse. Auch Tiere erleben Schmerzen, Aufregung, Angst und Verluste. Ein gravierender Unterschied zu uns Menschen besteht jedoch darin, dass wir uns mit dem Leiden und den Schmerzen auseinandersetzen können. Tiere können das nicht oder nur in geringerem Maße. Wir Menschen tragen unser Leiden und unsere Schmerzen mit uns herum, wir interpretieren Leid und Schmerz, wir entwickeln Erklärungen und auch Strategien zum Umgang. Wir versuchen Leid und Schmerz in der Zukunft zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten. Wer einmal auf eine heiße Herdplatte gefasst hat, der wird das nicht wieder tun. Er hat Schmerzen erfahren und gelernt. Wir Menschen können antizipieren und Verbindungen herstellen. Zu Beginn sind diese Verbindungen noch sehr eng (Herd - Schmerz). Später werden diese Verbindungen immer abstrakter (Heiß - Schmerz) und können ohne weitere Erlebnisse verallgemeinert und generalisiert werden (Bügeleisen - Schmerz). Formen von physischem Leid sind mit dieser Methode in unserem Leben relativ gut kontrollierbar. Wie ist es aber mit psychischem Leid?
Psychisches Leid
Psychisches Leid zeichnet sich dadurch aus, dass unser Leben häufig nicht mehr so funktioniert wie wir es uns vorstellen und uns unser Handlungs- und Gestaltungsspielraum immer weiter eingeschränkt erscheint. Unser Leben gerät für uns scheinbar aus der Bahn und wir werden unzufrieden und unglücklich. Mitunter kommt es vor, dass wir buchstäblich nicht mehr wissen, wie es weiter gehen soll. Wir stecken fest. Entweder in Sorgen oder Ängsten oder Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Wir erleben schwierige und teilweise sehr intensive Emotionen. Es gibt quälende Gedanken oder Hoffnungslosigkeit. Ängste vor Mitmenschen oder Orten oder Ängste, sich selbst nicht verwirklichen zu können, sein Leben nicht so gestalten zu können, wie man es sich vorstellt.
Diese unangenehmen Emotionen und Gedanken versuchen wir alle irgendwie wieder loszuwerden. Wir versuchen Lösungen zu unseren Problemen zu finden oder unsere Ängste abzubauen. Wir versuchen unsere Traurigkeit oder unsere Perspektivlosigkeit nicht zu zeigen. Wir vermeiden Situationen, in denen wir Angst haben oder nehmen Medikamente oder trinken Alkohol um endlich diesen Gedankenstrom aus unserem Kopf zu bekommen. Wir behandeln psychisches Leid wie physisches Leid. Wir antizipieren Ereignisse, in denen es uns psychisch nicht gut geht und versuchen diese zu vermeiden oder machen einen Plan, um die Erlebnisse abzumildern. 
Sprache als Fluch
„Segen und Fluch der menschlichen Existenz ist die Sprache“.1 Die Fähigkeit des Menschen, Schlüsse zu ziehen, hilft ihm im Umgang mit seiner Umwelt. Die menschliche Sprache erfüllt unser Bewusstsein mit einem nicht endenden Strom von Worten und Bildern. Der Segen daran ist, dass die Sprache es uns ermöglicht, zu planen, zu bauen, zu konstruieren und zu entwickeln. Sie ermöglicht es uns, zu kommunizieren und Probleme zu lösen. Man kann behaupten, dass unsere technische Entwicklung auf die Entwicklung von Sprache zurückzuführen und mit der Entwicklung der Sprache einher gegangen ist. Unsere Sprache entwickelt sich ständig weiter und ständig werden im Kontext der technischen Entwicklung auch neue Worte entwickelt. Die Sprache ermöglicht es uns andere zutiefst zu lieben und uns für sie zu engagieren. Sie ermöglicht es uns, von einer erhofften Zukunft zu träumen und an ihrer Verwirklichung zu arbeiten. 
Der Fluch der Sprache ist, dass wir uns mit unserem Leid und unseren Schmerzen auseinandersetzen und diese mit uns herumtragen und auch verstärken können. Wenn etwas geschieht, was uns mit unangenehmen Gedanken und Gefühlen konfrontiert, geben wir uns oft große Mühe, diese Situationen in Zukunft zu vermeiden um die aversiven Emotionen nicht spüren zu müssen. Oder wir versuche unangenehme Gedanken zu verdrängen. „Du darfst einfach nicht darüber nachdenken!“ oder „Ich will daran nicht denken!“ sind Sätze, die uns in unserem Leben immer wieder begegnen. Der Mensch kommt ungern mit unangenehmen oder aversiven Emotionen in Kontakt. Die Gesellschaft und die Sozialisation hat ihren Teil dazu beigetragen. Wir sollen uns immer „okay“ fühlen. Im Fernsehen sehen wir, gerade in der Werbung, gut gelaunte Menschen denen es gut geht und wenn nicht, dann wird uns sofort die Lösung geboten. Es wird uns immer wieder suggeriert, dass wir nur die Lösung für unsere Probleme finden müssen und dann sei alles wieder gut. 
Paradoxe Eigenschaften von Gedanken und Emotionen
Grundsätzlich problematisch ist die paradoxe Wirkung  der Sprache - jener symbolischen Fähigkeiten, die das ausmachen, was wir „Geist“ nennen -, da wir mit Hilfe dieser Fähigkeit zu vermeiden versuchen, was sich nicht vermeiden lässt. Wenn wir beispielsweise keine Versagensängste oder Traurigkeit spüren wollen, versuchen wir das auslösende Ereignis und die sich daraus ergebene emotionale Reaktion zu vermeiden. Aufgrund der o.g. paradoxen Wirkung von Emotionen führt dieses Verhalten leider immer wieder dazu, dass die zu vermeidenden Emotionen immer wieder auftreten und sich auf Dauer auch noch verstärken. Es gelingt uns zum Beispiel einfach nicht, nicht an etwas zu denken (wer das einmal ausprobieren möchte, braucht nur mal zu versuchen, fünf Minuten bewusst nicht an einen Elefanten zu denken). Wenn es für uns wichtig wird, eine bestimmte Art zu denken oder fühlen zu meiden, und wir feststellen, dass wir trotzdem so denken und fühlen, wie wir es eigentlich nicht wollen, kann es sein, dass unser Geist unablässig versucht, diese Erlebnisse zu eliminieren. Doch bei einem solchen konzentrierten Bemühen besteht die Gefahr, dass die Dämonen, die wir zu vernichten versuchen, sich vermehren und prächtig gedeihen. An dieser Stellen kann dann eine Form psychischen Leids entstehen, welches sich eventuell nur mit professioneller Hilfe lindern lässt. Wir verfangen uns in unseren Gedanken und unserer Sprache. Und da wir gelernt haben, Probleme sprachlich zu lösen, suchen wir unserem Kopf nach einer Lösung, wie wir endlich diese Gedanken und Emotionen nicht mehr haben könnten. Diese gedankliche Weiterbeschäftigung führt nur leider immer wieder dazu, dass die zu vermeidenden Emotionen immer wieder auftauchen. Durch unsere Fähigkeit zu generalisieren und zu verallgemeinern, kommt es nun auch noch dazu, dass wir Situationen und Orte beginnen zu vermeiden, die zu Beginn gar nicht mit dem aversiven Erlebnis verknüpft waren. Wir habe es jedoch geschafft, durch unsere sprachliche Problemlösung nun auch Ereignisse und Situationen mit der zu vermeidenden Emotion zu verknüpfen. Somit weitet sich unser Problem nun noch aus und wir beginnen, unser Handlungsfreiheit in unserem Leben immer weiter einzuschränken.
Akzeptanz- und Commitment-Therapie
Wie damit grundsätzlich umzugehen ist, ist Bestandteil der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (kurz: ACT (als ein englisches Wort ausgesprochen)-Therapie. Das Therapiemodell soll in diesem Zusammenhang jedoch nicht alleinig als Therapiemethode erläutert werden, sondern als eine Lebenseinstellung, die jedem von uns helfen kann, sein Leben vitaler und erfolgreicher und nach seinen eigenen Werten und Vorstellungen zu leben. Es handelt sich nicht um eine Glaubensrichtung oder eine Religion. ACT ist eine anerkannte und wissenschaftlich fundierte Therapieform, welche auch im professionellen Rahmen eingesetzt wird. Alle ACT-Erkenntnisse bauen auf der Grundlagenforschung zur Relational-Frame-Theorie  (RFT) oder auch Bezugsrahmentheorie auf. Nach ACT-Sicht ist die grundlegende Ursache für psychopathologische Entwicklung und die Entwicklung von Leid, eine Interaktion von Sprache und Gedanken, welche uns Menschen verwehrt, unser Verhalten optimal auf die Erreichung langfristiger Ziele einzustellen. Dies wird auch psychische Inflexibilität genannt. Diese entsteht, wenn sich Menschen in Situationen sprachlicher Mittel bedienen, in denen diese nicht von Nutzen ist oder die Werkzeuge der Sprache auf ineffektive oder problematischer Weise einsetzen. In den folgenden Texten soll diese Therapiemethode beschrieben und Hinweise zur eigenen Anwendung im Alltag gegeben werden. Das Lesen dieses Textes soll jedoch nicht eine, im Einzelfall notwendige, professionelle Hilfe ersetzen. Die Texte sollen dem Leser helfen, einige Zusammenhänge in seinem Leben besser zu verstehen und seine langfristigen Ziele besser erreichen zu können. 

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1 Luoma, Hayes & Walser, 2009, S. 25