...über Psychotherapie und Sonstiges

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Mittwoch, 5. Oktober 2011

Die Entstehung psychischen Leids

"The single most remarkable fact about human existence is how hard it is for humans to be happy.“ (S. Hayes)
Anwesenheit von Leid
Als Menschen können wir nicht in dieser Welt leben, ohne jeden Tag immer wieder von Leid berührt zu werden. Wir sehen es im Fernsehen, erleben es in unserem sozialen Umfeld und an der eigenen Person. Wir werden immer wieder mit schmerzhaften Erlebnissen konfrontiert. Alle Lebewesen auf diesem Planenten erleben schmerzhafte Ereignisse. Auch Tiere erleben Schmerzen, Aufregung, Angst und Verluste. Ein gravierender Unterschied zu uns Menschen besteht jedoch darin, dass wir uns mit dem Leiden und den Schmerzen auseinandersetzen können. Tiere können das nicht oder nur in geringerem Maße. Wir Menschen tragen unser Leiden und unsere Schmerzen mit uns herum, wir interpretieren Leid und Schmerz, wir entwickeln Erklärungen und auch Strategien zum Umgang. Wir versuchen Leid und Schmerz in der Zukunft zu vermeiden oder so gering wie möglich zu halten. Wer einmal auf eine heiße Herdplatte gefasst hat, der wird das nicht wieder tun. Er hat Schmerzen erfahren und gelernt. Wir Menschen können antizipieren und Verbindungen herstellen. Zu Beginn sind diese Verbindungen noch sehr eng (Herd - Schmerz). Später werden diese Verbindungen immer abstrakter (Heiß - Schmerz) und können ohne weitere Erlebnisse verallgemeinert und generalisiert werden (Bügeleisen - Schmerz). Formen von physischem Leid sind mit dieser Methode in unserem Leben relativ gut kontrollierbar. Wie ist es aber mit psychischem Leid?
Psychisches Leid
Psychisches Leid zeichnet sich dadurch aus, dass unser Leben häufig nicht mehr so funktioniert wie wir es uns vorstellen und uns unser Handlungs- und Gestaltungsspielraum immer weiter eingeschränkt erscheint. Unser Leben gerät für uns scheinbar aus der Bahn und wir werden unzufrieden und unglücklich. Mitunter kommt es vor, dass wir buchstäblich nicht mehr wissen, wie es weiter gehen soll. Wir stecken fest. Entweder in Sorgen oder Ängsten oder Traurigkeit und Antriebslosigkeit. Wir erleben schwierige und teilweise sehr intensive Emotionen. Es gibt quälende Gedanken oder Hoffnungslosigkeit. Ängste vor Mitmenschen oder Orten oder Ängste, sich selbst nicht verwirklichen zu können, sein Leben nicht so gestalten zu können, wie man es sich vorstellt.
Diese unangenehmen Emotionen und Gedanken versuchen wir alle irgendwie wieder loszuwerden. Wir versuchen Lösungen zu unseren Problemen zu finden oder unsere Ängste abzubauen. Wir versuchen unsere Traurigkeit oder unsere Perspektivlosigkeit nicht zu zeigen. Wir vermeiden Situationen, in denen wir Angst haben oder nehmen Medikamente oder trinken Alkohol um endlich diesen Gedankenstrom aus unserem Kopf zu bekommen. Wir behandeln psychisches Leid wie physisches Leid. Wir antizipieren Ereignisse, in denen es uns psychisch nicht gut geht und versuchen diese zu vermeiden oder machen einen Plan, um die Erlebnisse abzumildern. 
Sprache als Fluch
„Segen und Fluch der menschlichen Existenz ist die Sprache“.1 Die Fähigkeit des Menschen, Schlüsse zu ziehen, hilft ihm im Umgang mit seiner Umwelt. Die menschliche Sprache erfüllt unser Bewusstsein mit einem nicht endenden Strom von Worten und Bildern. Der Segen daran ist, dass die Sprache es uns ermöglicht, zu planen, zu bauen, zu konstruieren und zu entwickeln. Sie ermöglicht es uns, zu kommunizieren und Probleme zu lösen. Man kann behaupten, dass unsere technische Entwicklung auf die Entwicklung von Sprache zurückzuführen und mit der Entwicklung der Sprache einher gegangen ist. Unsere Sprache entwickelt sich ständig weiter und ständig werden im Kontext der technischen Entwicklung auch neue Worte entwickelt. Die Sprache ermöglicht es uns andere zutiefst zu lieben und uns für sie zu engagieren. Sie ermöglicht es uns, von einer erhofften Zukunft zu träumen und an ihrer Verwirklichung zu arbeiten. 
Der Fluch der Sprache ist, dass wir uns mit unserem Leid und unseren Schmerzen auseinandersetzen und diese mit uns herumtragen und auch verstärken können. Wenn etwas geschieht, was uns mit unangenehmen Gedanken und Gefühlen konfrontiert, geben wir uns oft große Mühe, diese Situationen in Zukunft zu vermeiden um die aversiven Emotionen nicht spüren zu müssen. Oder wir versuche unangenehme Gedanken zu verdrängen. „Du darfst einfach nicht darüber nachdenken!“ oder „Ich will daran nicht denken!“ sind Sätze, die uns in unserem Leben immer wieder begegnen. Der Mensch kommt ungern mit unangenehmen oder aversiven Emotionen in Kontakt. Die Gesellschaft und die Sozialisation hat ihren Teil dazu beigetragen. Wir sollen uns immer „okay“ fühlen. Im Fernsehen sehen wir, gerade in der Werbung, gut gelaunte Menschen denen es gut geht und wenn nicht, dann wird uns sofort die Lösung geboten. Es wird uns immer wieder suggeriert, dass wir nur die Lösung für unsere Probleme finden müssen und dann sei alles wieder gut. 
Paradoxe Eigenschaften von Gedanken und Emotionen
Grundsätzlich problematisch ist die paradoxe Wirkung  der Sprache - jener symbolischen Fähigkeiten, die das ausmachen, was wir „Geist“ nennen -, da wir mit Hilfe dieser Fähigkeit zu vermeiden versuchen, was sich nicht vermeiden lässt. Wenn wir beispielsweise keine Versagensängste oder Traurigkeit spüren wollen, versuchen wir das auslösende Ereignis und die sich daraus ergebene emotionale Reaktion zu vermeiden. Aufgrund der o.g. paradoxen Wirkung von Emotionen führt dieses Verhalten leider immer wieder dazu, dass die zu vermeidenden Emotionen immer wieder auftreten und sich auf Dauer auch noch verstärken. Es gelingt uns zum Beispiel einfach nicht, nicht an etwas zu denken (wer das einmal ausprobieren möchte, braucht nur mal zu versuchen, fünf Minuten bewusst nicht an einen Elefanten zu denken). Wenn es für uns wichtig wird, eine bestimmte Art zu denken oder fühlen zu meiden, und wir feststellen, dass wir trotzdem so denken und fühlen, wie wir es eigentlich nicht wollen, kann es sein, dass unser Geist unablässig versucht, diese Erlebnisse zu eliminieren. Doch bei einem solchen konzentrierten Bemühen besteht die Gefahr, dass die Dämonen, die wir zu vernichten versuchen, sich vermehren und prächtig gedeihen. An dieser Stellen kann dann eine Form psychischen Leids entstehen, welches sich eventuell nur mit professioneller Hilfe lindern lässt. Wir verfangen uns in unseren Gedanken und unserer Sprache. Und da wir gelernt haben, Probleme sprachlich zu lösen, suchen wir unserem Kopf nach einer Lösung, wie wir endlich diese Gedanken und Emotionen nicht mehr haben könnten. Diese gedankliche Weiterbeschäftigung führt nur leider immer wieder dazu, dass die zu vermeidenden Emotionen immer wieder auftauchen. Durch unsere Fähigkeit zu generalisieren und zu verallgemeinern, kommt es nun auch noch dazu, dass wir Situationen und Orte beginnen zu vermeiden, die zu Beginn gar nicht mit dem aversiven Erlebnis verknüpft waren. Wir habe es jedoch geschafft, durch unsere sprachliche Problemlösung nun auch Ereignisse und Situationen mit der zu vermeidenden Emotion zu verknüpfen. Somit weitet sich unser Problem nun noch aus und wir beginnen, unser Handlungsfreiheit in unserem Leben immer weiter einzuschränken.
Akzeptanz- und Commitment-Therapie
Wie damit grundsätzlich umzugehen ist, ist Bestandteil der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (kurz: ACT (als ein englisches Wort ausgesprochen)-Therapie. Das Therapiemodell soll in diesem Zusammenhang jedoch nicht alleinig als Therapiemethode erläutert werden, sondern als eine Lebenseinstellung, die jedem von uns helfen kann, sein Leben vitaler und erfolgreicher und nach seinen eigenen Werten und Vorstellungen zu leben. Es handelt sich nicht um eine Glaubensrichtung oder eine Religion. ACT ist eine anerkannte und wissenschaftlich fundierte Therapieform, welche auch im professionellen Rahmen eingesetzt wird. Alle ACT-Erkenntnisse bauen auf der Grundlagenforschung zur Relational-Frame-Theorie  (RFT) oder auch Bezugsrahmentheorie auf. Nach ACT-Sicht ist die grundlegende Ursache für psychopathologische Entwicklung und die Entwicklung von Leid, eine Interaktion von Sprache und Gedanken, welche uns Menschen verwehrt, unser Verhalten optimal auf die Erreichung langfristiger Ziele einzustellen. Dies wird auch psychische Inflexibilität genannt. Diese entsteht, wenn sich Menschen in Situationen sprachlicher Mittel bedienen, in denen diese nicht von Nutzen ist oder die Werkzeuge der Sprache auf ineffektive oder problematischer Weise einsetzen. In den folgenden Texten soll diese Therapiemethode beschrieben und Hinweise zur eigenen Anwendung im Alltag gegeben werden. Das Lesen dieses Textes soll jedoch nicht eine, im Einzelfall notwendige, professionelle Hilfe ersetzen. Die Texte sollen dem Leser helfen, einige Zusammenhänge in seinem Leben besser zu verstehen und seine langfristigen Ziele besser erreichen zu können. 

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1 Luoma, Hayes & Walser, 2009, S. 25

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